Weniger Rinder in Hessens Ställen

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Gießener Anzeiger und Gießener Allgemeine Zeitung vom 18. 2. 2022

Meines Wissens haben wir in Biebertal überhaupt keine Rinder mehr. Die Zeiten, dass sich eine Kuh in unseren Garten verirrte, sind lange vorbei. Was viele vielleicht gut finden, hat Tim Mattern aus Biebertal veranlasst, einen Leserbrief zu schreiben, den wir hier mit seiner Genehmigung abdrucken. Dr. Tim Mattern ist Mitglied im Nabu-Kreisvorstand des Landkreises Gießen. Sein Leserbrief stand am 2. März im Gießener Anzeiger.

Tim Mattern zum Artikel “Weniger Rinder in den Ställen” vom 18. Februar 2022

“Rinder sind für unsere Landschaft unverzichtbar. Diese Tiere können aus Gras, das wir Menschen nicht verdauen können, Lebensmittel für uns herstellen. somit dienen Wiesen und Weiden indirekt unserer Ernährung.
Die meisten Betriebe sind durch die agrarpolitischen Rahmenbedingungen gezwungen, das Maximum aus ihren Flächen und Tieren herauszuholen. Schwere Fleischrinder und Milchkühe werden von Weidegang und Heu im Winter allein vielleicht zwar satt, bringen aber nicht die erwünschte Leistung. Die Folge sind hochgedüngte, artenarme Vielschnittwiesen sowie Getreide und Soja – eventuell sogar aus Übersee – im Futtertrog. Würde man Rinder lediglich mit dem Aufwuchs von Wiesen und Weiden füttern – die Klimabilanz wäre positiv, denn das Grünland ist eine CO²-Senke. Erst falsche Fütterung mit Kraftfutter erzeugt übermäßige Methan-Rülpser der Kühe, was ihre Klimabilanz ins Negative kippen lässt.
Für Naturschutz und Klima ist die extensive Rinderhaltung von Vorteil: Die Tierzahl ist an die Fläche angepasst, es werden nur so viele Rinder gehalten, wie vom zur Verfügung stehenden Grünl
and satt werden können. Großräumige Beweidung führt zur Bildung vieler verschiedener Kleinsthabitate, die von unzähligen Tier- und Pflanzenarten besiedelt werden. Allein ein Kuhfladen ist ein wahrer Mikrokosmos. Jedoch finden Insekten die Hinterlassenschaften der Wiederkäuer monatelang völlig uninteressant, wenn die Kühe mit Mitteln gegen Würmer und andere Parasiten behandelt wurden.
Das Bild einer halboffenen Landschaft ist tief verwurzelt. Gehölze bieten Schutz und Geborgenheit, während der Blick in die Weite dennoch vorhanden ist. Waren es seit Beginn unseres Erdzeitalters Quartär große Wildtierherden, die durch ihre Nahrungssuche solch ein Bild erzeugten, wurde dieses später durch die menschliche Nutzung und Hütehaltung von Haustieren geschaffen. Ohne Tierhaltung wäre Grünland keine Nahrungsgrundlage für Menschen. Wo es nicht gemäht werden kann, würde es mit Gehölzen zuwachsen.
Heute ist die Rinderhaltung draußen auf der Koppel mühsam. Tierhaltung ist aufwendig, bringt wenig Geld ein, ist mit vielen Fehlerquellen und Sanktionsgefahren aus Agrarförderung und Fachrecht behaftet. Insbesondere dann, wenn man es den Tieren gönnt, das ganze Jahr draußen zu sein. Die Weidetierhalter sehen sich dort auch weiteren Problemen ausgesetzt. Freizeittreibende, die die Landwirte und Tierhalter auf dem Weg zu ihren Weideflächen beschimpfen. Gutmeinende, die vom eigenen Empfinden auf das des Tieres schließen und wegen vermeintlicher Kälte, Futtermangel oder sonstigem Anzeige erstatten.
Es macht Sinn, wenn wir alle weniger Fleisch essen. Aber dennoch sollten wir unsere verbliebenden Rinderhalter unterstützen, denn ihr Beitrag für die Gesellschaft is
t unschätzbar.

Bullshit?
Für den Brief von Tim Mattern fand ich eine wissenschaftliche Untermauerung im MIT Technology Review 2/2022*). Das Forschungsinstitut für Biologischen Landbau (FiBL) der Schweiz verglei8cht seit über 40 Jahren die verschiedenen Formen des Landbaues auf extra angelegten Testfeldern. “Der größte Humus.-Schwund, so weist die FiBL-Studie nach, liegt beim
v i e h l o s e n konventionellen Landbau vor. Um das zu ändern, spielt Kreislaufwirtschaft eine entscheidende Rolle. Wenn ein Hof Dünger aus der Tierhaltung einsetzt, – wie oft im biologischen Landbau – kann er den Humusverlust immerhin bremsen. Er Er überträgt damit quais die Biomasse vom Grasland über das Vieh auf den Acker und schließt damit den Kreis.


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